Mein Glas ist halb voll. Wie sieht’s bei dir aus?

Etwas kratzt an mir. So richtig will ich nicht ins Bild passen. Die Blicke kann ich spüren, selbst wenn ich in die andere Richtung schaue. “Stimmt was nicht?” frage ich mich. “Mache ich was falsch?” Natürlich weiß wieder jemand alles besser. Ich sollte mir Rat holen, am besten von mehreren. Der Löwe, der am lautesten brüllt, wird schon recht haben. (Oder etwa nicht?)

Selbstzweifel sind für die meisten Pferdemenschen sicher kein Fremdwort. Manchmal engen sie mich ein, und dann ärgere ich mich, dass ich ihnen überhaupt die Tür geöffnet habe, diesen großen, ekeligen Dingern. Doch was passiert da mit uns, wenn wir an uns zweifeln?

Meistens kommen Zweifel auf, wenn man nicht in die Norm passt. Wenn man auf seiner Suche nach neuen Erkenntnissen auf Gegenwind und Ablehnung trifft. Wenn das Bauchgefühl nicht recht zu den allgemein gültigen Regeln passen mag, und man den Drang verspürt, sich verstellen zu müssen, um nicht anzuecken. Unser Kopf macht es uns meist doppelt schwer, weil uns negatives Feedback oft präsenter ist, obwohl die positiven Erlebnisse manchmal deutlich überwiegen. Ungewollt, und vor allem auch unüberlegt, legen wir den Fokus in unserem Alltag dann auf die Dinge, die uns runterziehen und Sorgen bereiten.

Foto: Alexandra Evang

Was hat das jetzt mit Pferden zu tun?

Mir hilft in einem Zweifelsfall die Selbstreflexion. Und genau hier kommt für mich eine Trainingsmethode aus der Arbeit mit den Pferden zum Tragen, die ich nicht einfach abstreifen möchte, wenn ich den Stall verlasse. Die mir gerade auch im “Leben ohne Pferd” hilft, mich selbst und die große weite Welt mit anderen Augen zu sehen.

Wenn ich mein Verhalten reflektiere, kann ich mit Leichtigkeit den Fokus auf das legen, was ich falsch mache. Auf das was nicht funktioniert. Wo der innere Schweinehund kräftig bellt und mich vom Glücklichsein abhalten will. Ich könnte mich in einer Abwärtsspirale selbst bemitleiden, mich als kleines armes Würmchen sehen, das nichts auf die Reihe bekommt. Ihr wisst wovon ich rede? Es ist die Opferrolle, für die man sich – haltet euch fest – selbst entscheidet.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns selbst dafür entscheiden ein kleines armes Würmchen zu sein. Und ich bin ebenfalls überzeugt davon, dass wir uns selbst dafür entscheiden können (und zwar jeder von uns) Erfolg zu haben und glücklich zu sein.

Mit meinem Pferd läuft es nämlich immer dann gut, wenn ich mit mir selbst im Reinen bin. Faible spiegelt mich so genau, dass es mich manchmal echt verblüfft. Vor ein paar Monaten hat mich eine Stallfreundin angesprochen, ob es mir nicht gut ginge. Ich hab mich sehr gewundert, wir hatten uns so selten gesehen. Ich fragte sie also, wie sie darauf kommt. “Das sieht man deinem Pferd an.” war ihre Antwort.

Der Schlüssel für eine harmonische, gute Zeit mit dem Pferd liegt also in mir selbst. Wenn ich ein gutes Gefühl mit mir habe, mich in meinem Körper wohl fühle, Zufriedenheit ausstrahle und nach vorne blicke, dann schließt sich mir das Pferd gerne an. Wenn ich den Fokus auf unsere Zukunft, die richtig schönen Momente im Hier und Jetzt und auf unsere Freundschaft lege, dann bestärke ich das was mir Freude bereitet. Ich nutze also ganz bewusst die positive Verstärkung für mich selbst, indem ich auch in meinem Denken und Handeln das bestärke was gut für mich ist. Indem ich den Fokus auf meine Talente, meine Freunde, die Familie und natürlich auf mein Pferd lege.

Foto: Katja Danielski
















Und das kannst du auch. 

Diese Haltung öffnet neue Türen, sie macht uns dankbarer und zufriedener. Sie macht mir Mut und lässt mich wachsen und nach vorne blicken. Mich selbst runterzuziehen hilft weder mir weiter, noch meinem Pferd oder den Menschen um mich herum. Wenn ich Gegenwind habe und immer weiter dagegen ankämpfe, dann hilft mir diese Grundeinstellung dabei die Lösung zu finden, die zu mir passt und die mich nach vorne bringt. Manchmal lautet sie dann einfach:”Dreh dich um! Genieße den Rückenwind!” Es kann ganz einfach sein, wenn wir uns nicht auf “die eine Wahrheit” und “den einen richtigen Weg” einschießen.

Seitdem mir klar ist, dass ich es nicht jedem recht machen kann sobald ich mich vom breitgetretenen Weg der Masse entferne, ist mir ein bisschen leichter ums Herz. Wer neue Wege geht, der stolpert auch mal über Wurzeln oder zerkratzt sich die Knie. Aber wer dran bleibt und sich ins Abenteuer stürzt, der findet vielleicht einen atemberaubenden Ausblick, den nie zuvor jemand entdeckt hat. Und zwar nur weil er nicht einfach der Masse hinterhergestiefelt ist.

Ein “Ich bin nicht gut genug, ich schaffe das nicht.” wirkt wie eine angezogene Handbremse. Wenn wir unser Gesicht aber zur Sonne drehen, sind wir schon bereit für ihre Wärme, auch wenn sie gerade noch dabei ist sich durch die Wolken zu uns durchzukämpfen. Wenn wir dabei lächeln kommt sie noch ein bisschen schneller bei uns an.

Es liegt in unserer Hand und es ist gar nicht so schwer. Das Glas ist halb voll. Das Glück liegt auf der Straße.

Und bei unseren Pferden.

Bei Tash-Horseexperience findet ihr einen tollen Artikel, der euch dabei hilft mehr im Hier und Jetzt mit euren Pferden zu sein. Besinnt euch auf das, was wirklich gerade wichtig ist – dann ist eure Pferdezeit auch eine schöne Zeit!

 

Auf Fair-Riding-Corp beschreibt Daniela wie ihr euren Stress am besten zuhause lassen könnt. Beim Pferd ist er nämlich nicht so gut aufgehoben, das hab ich mittlerweile verstanden.. 🙂

5 Antworten zu “Mein Glas ist halb voll. Wie sieht’s bei dir aus?

  • Mal wieder ein sehr sehr schöner Artikel!
    Du sprichst mir aus der Seele! Ich bin von Natur aus ein eher pessimistischer Mensch, trotzdem versuche ich mit den meisten Sachen positiv umzugehen. Mir geht diese ständige Jammerei überall (und manchmal auch von mir) so sehr auf die Nerven. Diese negative Einstellung hilft niemandem weiter, dann kann man doch auch gleich versuchen das Beste daraus zu machen.
    Mittlerweile habe ich genug schwere Zeiten durchlebt um zu wissen, dass noch aus der blödesten Situation etwas Gutes werden kann, wenn man sich nur selbst für sein Glück verantwortlich fühlt.
    Ich bin der festen Überzeugung: wer positiv und offen durchs Leben geht dem passieren auch positive Dinge!

  • Liebe Christina,

    vielen Dank für deinen Kommentar! 🙂 Mir geht das auch auf die Nerven – genau wie du es beschreibst, man ärgert sich über sich selbst!
    Und wie du weißt erlebe ich das gerade an mir selbst, dass es "läuft", wenn man sich auf das Gute konzentriert! 🙂

    Ich wollte mit dem Artikel ein bisschen Mut machen, weil ich mir so sicher bin, dass diese Zweifel in jedem von uns stecken.

  • Zwei Sachen fallen mir ein. 1. Michael Geitner sagte jüngst auf einem Kurs "Wenn wir zur Quelle wollen, müssen wir gegen den Strom schwimmen". Das passt sehr gut zu den ausgetretenen oder weniger ausgetretenen Pfaden. 2. Im Winter hatte ich eine Phase mit Paledo, wo ich mir vorkam wie die Frau in einer Beziehung mit einem Mann, dem man es nicht Recht machen kann. Je mehr ich mich angestrengt habe, desto weniger kam zurück (zumindest hatte ich den Eindruck). Als Folge habe ich mich zurückgenommen. Und hatte dann irgendwie ein depressives Pferd. Ich glaube im Nachhinein, dass ihm meine Reserviertheit geschadet hat. Er hat sie nicht verstanden, hat sich vielleicht bestraft gefühlt. Vielleicht bewerte ich das alles auch über. Ich bin eher ein Glas-halb-leer-Typ 🙂

  • Irgendwie habe ich das schon sehr früh gelernt, positiv an Dinge heranzugehen. Ich hatte einige nicht so tolle Jobs, hab viel gearbeitet, wenig bezahlt bekommen, usw. Doch wenn man positiv und mit Spaß auch an solche Sachen herangeht, dann hat man oft am Ende des Tages man säße auf einer Welle, die einen trägt und wenn man abends dann zurückblickt, war es ein guter Tag. Ich versuche dies meiner jüngsten Tochter zu vermitteln, weil für sie viele Tage deutlich schwärzer sind, als sie sein müssten. Aber wahrscheinlich muss dies jeder für sich selbst herausfinden.
    Wenn ich schwarze Tage hatte, haben meine Pferde es immer wieder geschafft, die Wolken aufzureißen.
    Einfach im Momemt leben wie Tash, das so schön beschrieben hat. Sicher gehört der Selbstzweifel oder auch besser die Reflexion zur Arbeit mit den Pferden
    dazu, umso mehr seitdem ich Videos machen ��. Aber irgendwie vermitteln mir die Ponys: Es läuft und die wirklich schlechten Tage sind die an denen man nicht an seinen Fähigkeiten arbeiten konnte.

  • Liebe Miri, du sprichst mir aus der Seele. Was für ein schöner Text. Ich habe vor kurzem erst so richtig begriffen, dass ich mein Glas halbvoll machen muss. Man weiss ja irgendwie, dass Jammern nicht hilft und positiv denken ganz toll ist. Aber danach zu handeln, fällt dann doch nicht immer leicht. Ich dachte zum Beispiel immer, dass es so schwer ist zu lernen ein guter Pferdemensch zu sein und noch so ein langer Weg vor mir liegt, bis ich es irgendwann vielleicht sein kann. Habe mir immer wieder gesagt, dass es schwer wird und und und…Und irgendwo zwischen Australien und Neuseeland habe ich begriffen, dass es keine grosse unlösbare Aufgabe ist, die ich zu bewältigen habe, sondern ein wunderschöner lebenslanger Weg ist, den ich mit einem Lächeln gehen darf. Auf einmal war mein Glas halbvoll 🙂 Alles Liebe, Petra

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