Das Märchen vom goldenen Hufnagel.
Es war einmal ein wunderschönes junges Pferd.
Das Pferd hatte genug Heu und ein warmes Plätzchen zum Schlafen. Es bekam Komplimente, weil es schön anzusehen war, und es sprühte vor Energie und Lebensfreude. Das junge Pferd war sehr freiheitsliebend und freute sich immer, wenn es aus seiner Box herausgeholt wurde und über die Wiese toben konnte.
Als es älter wurde wuchs das Interesse der Menschen an ihm. Sie wollten das junge Tier ausbilden und fördern, es sollte sie richtig stolz machen. Es sollten noch viel mehr Menschen sehen, dass dieses Pferd besonders schön und wertvoll war.
Das Pferd war eifrig und ehrgeizig. Es versuchte seinen Menschen zu gefallen und ihnen ihre Wünsche zu erfüllen. Aber je mehr die Menschen mit ihm machten, desto weniger konnte das Pferd sie verstehen. Es zweifelte an ihnen, und was am aller schlimmsten war: Das wunderschöne Tier begann auch an sich selbst zu zweifeln.
Es widersetze sich, verletzte sich, und plötzlich sahen die Menschen das Pferd mit ganz anderen Augen an, wenn sie tagein tagaus an seiner Boxentür entlang kamen. “Das Pferd ist gefährlich!” hörte es die Menschen sagen. “Geh nicht zu nah dran, bist du verrückt?”
Das Pferd wurde immer trauriger und einsam. Es verstand nicht, wieso sich plötzlich niemand mehr mit ihm beschäftigen wollte. Es begann sich gegen die Einsamkeit zu wehren und der Graben zwischen ihm und seiner Umwelt wurde tiefer. Man konnte ihn sogar sehen, in den Falten an den aufgerissenen Augen und an den verspannten, hochgezogenen Nüstern. Hin und wieder beschäftigten sich unterschiedliche Menschen mit ihm. Doch es spürte keine Verbindung zu ihnen, und ständig endete es in einem Kampf in dem es keine Sieger gab.
Eines Tages stand ein Mädchen vor seiner Box und wollte das Pferd kennenlernen und reiten. Wieder gab das Pferd sein Bestes und versuchte Angst und Misstrauen zu verdrängen. Als das Mädchen immer öfter kam, fühlte sich das Pferd wieder in die Ecke gedrängt, missverstanden und überfordert. Es sträubte sich gegen das Reiten und wollte die Verantwortung über sein Leben nicht noch einmal in die Hände eines Menschen geben. Es bockte, stieg, zerriss Stricke und demolierte nicht nur seine Ausrüstung, sondern verletzte auch das Mädchen und sich selbst. Es spürte, dass das Mädchen nun auch begann ihm zu misstrauen. Und nun hörten sie die Stimmen gemeinsam, die über sie lachten oder sie für verrückt erklärten.
An einem Frühlingstag, als es viel zu schön draußen war um den Tag wieder im Stall zu verbringen, beschloss das Mädchen mit dem Pferd spazieren zu gehen. Diesmal rüstete es sich nicht gegen das Pferd, ließ Trense und Kette im Stall und wagte die ersten Meter Richtung Wald nur mit einem Halfter und einem Führstrick. Sie waren noch nicht ganz aus der Sichtweite des Hofes, da wurden sie von einem Mann gestoppt, den das Mädchen nur flüchtig vom Sehen kannte. Das Pferd hielt nur ungern an und trippelte nervös auf und ab. Das Mädchen war ebenfalls misstrauisch und wollte am liebsten schnell weiter in den Wald gehen, wo sie beide mit zügigen Schritten nebeneinander zur Ruhe kommen konnten.
Der Mann spürte die Unruhe und hielt sie nicht lange auf. Er streichelte dem Pferd über den Hals und lächelte das Mädchen freundlich an. Er gab ihm einen kleinen Gegenstand mit den Worten: “Das hier ist dein ganzes Glück, mehr brauchst du nicht. Ich bin froh, dass Faible endlich ihren Menschen gefunden hat.”
Das Mädchen war immer noch misstrauisch, bedankte sich höflich und eilte mit dem Pferd davon. Erst als es den Mann nicht mehr sehen konnten, öffnete es seine Hand und betrachtete den Gegenstand.
Es war eine kleine Streichholzschachtel, golden bemalt und mit einer Schleife versehen. Vorsichtig öffnete das Mädchen die Schachtel und fand darin einen goldenen Hufnagel. Plötzlich liefen dem Mädchen Tränen über das Gesicht. Sie konnte sich noch keinen Reim aus dieser wundersamen Begegnung machen. Im warmen, weichen Fell des Pferdes waren die Tränen gut aufgehoben.
Ein halbes Jahr später gehörte das wunderschönes Pferd endlich zu dem Mädchen. Einfach war es für beide immer noch nicht, aber endlich ging es in kleinen Schritten bergauf. Das Pferd begann endlich dem Mädchen ein bisschen Vertrauen zu schenken und konnte sich ganz langsam in seiner Anwesenheit entspannen. Weitere anderthalb Jahre später fand das Mädchen endlich ein schönes Zuhause für sein Pferd, wo es die Verantwortung für eine Herde übernehmen konnte und wo es keine Boxen mehr gab. Hoch oben auf dem Berg stand das Pferd am liebsten. Von dort hatte es Aussicht auf das ganze Tal, auf den Weg zu seinen Schlafplätzen und den Futterstellen. Endlich fühlte sich das Pferd angekommen. Jedes Mal, wenn es königlich dort oben stand und die Nase in den Wind halten konnte, dann verblasste die Erinnerung an seine Vergangenheit ein Stückchen mehr.
Und wenn das besondere Pferd und sein Mädchen nicht gestorben sind, dann arbeiten sie noch heute täglich an ihrer Freundschaft und versuchen sich gegenseitig besser zu verstehen. Aus einem Pferd, das einst andere Menschen stolz machen sollte, entwickelt sich ein Pferd, das endlich auf sich selbst stolz ist.